Einst war Bernd Schlömer Deutschlands oberster Pirat, jetzt will er für die FDP am 18. September in das Berliner Abgeordnetenhaus.

Für kaum einen Politiker trifft der Begriff Parteisoldat treffender zu als für Bernd Schlömer. Der ehemalige Bundeschef der Piratenpartei will für die FDP am 18. September in das Berliner Abgeordnetenhaus ziehen. Am Dienstag wählt der Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg seine Liste. Derzeit ist Schlömer der einzige Kandidat für den Spitzenposten. Im echten Leben ist der 45-jährige Sozialwissenschaftler und Kriminologe Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium am Bendlerblock.

Viele prominente Piraten verließen die Partei

Schlömer steht in einer Reihe von prominenten Piratenpolitikern, die die Partei in den vergangenen Monaten verlassen haben. Der ehemalige Chef der Berliner Fraktion und Lautsprecher der Partei, Christopher Lauer, hat den Piraten inzwischen ebenso den Rücken gekehrt wie der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum BER-Debakel, Martin Delius. Delius hat sich mit rund 30 ehemaligen Parteimitgliedern inzwischen in Richtung Linkspartei orientiert.

Auch die zeitweiligen Fraktionschefs aus der Berliner Fraktion, Oliver Höfinghoff und Andreas Baum haben ihre Parteibücher mittlerweile zurückgegeben. Auf Bundesebene erklärte neben Schlömer auch die frühere Landesvorsitzende der brandenburgischen Piraten und Netzaktivistin, Anke Domscheit-Berg, ihren Austritt.

Neue Farben, neue Gesichter

Bernd Schlömer nahm sich danach eine politische Auszeit. „Ich habe mein Familienleben zelebriert“, sagt der zweifache Familienvater. Allerdings habe er sich die Option, in die Politik zurückzukehren, stets offen gelassen. Bis zum vergangenen Jahr, als er sich entschied, in die FDP einzutreten. „Die FDP steht für eine politische Orientierung, die derzeit gar nicht mehr vorkommt“, sagt Schlömer. Die aktuellen Diskussionen polarisierten zwischen rechtem und linkem politischen Spektrum. Liberale Positionen spielten keine Rolle.

Das bekam die FDP deutlich zu spüren. Bei den vergangenen Berliner Wahlen im Jahr 2011 sackte die Partei auf 1,8 Prozent ab und flog sang- und klanglos aus dem Parlament. In anderen Landesparlamenten sah es ähnlich prekär für die Freidemokraten aus, 2013 scheiterten sie dann auch im Bundestag. Seit dem versucht die Partei, den wirtschaftsliberalen Kurs, der sie am Ende an den Rand des Abgrunds führte, zu korrigieren. Um das zu verdeutlichen, änderte die FDP sogar ihre Farben.

Schlömer soll das nun auch als eines der neuen Gesichter unterstreichen. Derzeit noch mit mäßigem Erfolg. Gegenwärtig sehen die Demoskopen die FDP in Berlin bei drei bis fünf Prozent. Das Rennen um den Einzug in das Abgeordnetenhaus ist noch längst nicht gewonnen.

Es gebe eine Präventivkraft des Nicht-Wissens

Dass dies gelingt, dafür sieht Schlömmer realistische Chancen. Die Piraten konnten ihren sensationellen Erfolg nicht halten, auch der NSA-Skandal rund um die Enthüllungen des US-Amerikaners Edward Snowden verhalf der Netzpartei nicht zu anhaltender Wählergunst. „Das Thema der Bürgerechte und des Datenschutzes stand in der Bedürfnishierarchie der Menschen nicht ganz oben“, sagt Schlömer. Das ändere sich jetzt. „Der Umgang mit Informationen wird wichtiger“, sagt er im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen um den NSA-Abhörskandal, die Datenmacht Google und Big Data.

„Ich halte den Kampf um Datenschutz noch nicht für verloren“, sagt Schlömer. Viel zu lange habe die Politik die Internetgiganten Microsoft und Google gewähren lassen. Jetzt gelte es, ihnen Grenzen zu setzen und das Grundrecht auf Datenschutz für jeden Bürger durchzusetzen. „Ich bin kein Anhänger der totalen Datengier, es gibt eine Präventivkraft des Nicht-Wissens“, sagt Schlömer. Totale Transparenz würde das Gemeinwesen zerstören, ist sich Schlömer sicher. Wenn jeder alles über jeden wissen könnte, wäre das friedliche Zusammenleben gefährdet.

Ex-Minister Gerhart Baum riet ihm zur Kandidatur

Dabei habe der Wechsel von den Piraten zur FDP für ihn keine grundlegende Änderung seiner Überzeugungen bedeutet. „In Fragen der Bürger- und Grundrechte bestehen gar keine Unterschiede zwischen Piraten und FDP“, sagt Schlömer. „Beide sind auch gegen die Vorratsspeicherung.“ Er sehe es als seine Aufgabe an, den alten sozialliberalen Flügel der Partei wiederzubeleben. Rückenwind habe er dabei vom ehemaligen FDP-Innenminister Gerhart Baum erhalten. Er habe doch nichts zu verlieren, wenn er für die FDP antrete, habe Baum ihm bei einem Gespräch gesagt.

Also tritt er an. Und zwar in Friedrichshain-Kreuzberg. Da, wo die FDP zuletzt mit einem mageren Prozent eines der schlechtesten Ergebnisse bundesweit erzielt hat. Für die Arbeit im Bezirk ist das kein Nachteil, so Schlömer. Für reine Parteikarrieristen sei die Arbeit in der Liberalen-Diaspora wenig attraktiv. Die Kreuzberger Liberalen bestünden aus jungen, engagierten Menschen zwischen 25 und 40 Jahren, die Lust an Politik hätten, aber sich weder von SPD, CDU, Grünen oder Linken angesprochen fühlten - so wie vor fünf Jahren die Piraten.

Cyber-Experte im Verteidigungsministerium

Seine Kompetenz in Fragen des Internets und der Datensicherheit hat jetzt auch seine Dienstherrin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erkannt. Nachdem er lange für die Hochschulen der Bundeswehr zuständig war, gehört er derzeit dem Stab „Cyber und Information“ des Verteidigungsministeriums an. Dabei gehe es unter anderem um die Frage, wer bei möglichen künftigen Cyber-Attacken auf deutsche Institutionen in welcher Weise tätig wird. Es werde zu den Herausforderungen der kommenden Jahre gehören, Angriffe aus dem Internet erfolgreich abzuwehren.